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Ich erinnere mich genau an den Moment, in dem ich aus dem Fluss der Zeit fiel. Lange floss der Strom meines Lebens gleichmäßig dahin, ich in seiner Mitte, mich treiben lassend, ohne Anstrengung und wartend auf das, was vor mir lag.
Dann: ein Knall. Das Leben ist endlich. Ohne Plan. Und leidvoll.
Ich bleibe allein und in völliger Verwirrung zurück. Fühle, dass ich sinke. Wasser in meinen Lungen. Ich kämpfe. Schwimme an die Oberfläche, hole tief Luft, doch bevor ich atmen kann, zwingt mich die Strömung wieder nach unten.
Du möchtest wissen, wer ich bin.
Ich kann es Dir nicht mehr sagen.
Alles, an das ich mich erinnere, ist in Schmerz getaucht. Und ich kann ihn nicht in Worte kleiden.
Schließlich höre ich auf zu kämpfen. Schließe meine Augen und lasse mich in das Schwarz des Flusses fallen. Er umfängt mich als süße Verheißung. Nur der Schmerz brennt weiter in mir.
Ich werde ans Ufer gespült. Liege erschöpft im Sand und lasse mich von den silbernen Strahlen des vollen Mondes trocknen. Seine Gnade legt sich auf jede Welle des Leids, die durch meine Brust fließt. Ich weiß, ich werde lange hierbleiben.
Du bist weit weg. Ich sehe Dich vor meinem inneren Auge und beobachte, wie Du Dich abwendest und ein Leben lebst, in dem Du Deine eigenen Kämpfe austrägst und Entdeckungen machst, die nur für Deine Augen bestimmt sind.
Ich bleibe derweil am Ufer. Der Mond lädt mich auf. Die Tiere halten meine Hand. Die Geister der Nacht und die Wesen des Tages sammeln sich und schauen mir zu, während ich langsam heile.
Ich war niemals allein. Doch war ich auch nicht Herr meiner Sinne. Ich war blind, bis der Tod mein Tor zu einer neuen Welt wurde.
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©️Text und Bild: Li Anna