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Am Abend setzen wir uns auf die Wiese. Wir sind lange gewandert an diesem Tag. Ich habe deine Schritte neben mir gehört und deine klare Präsenz hat sich kühlend auf meinen Geist gelegt. Wann immer meine Gedanken drohten sich in Kleinigkeiten zu verlieren, hast du meine Hand genommen und sie zärtlich gedrückt. Dann konnte ich fühlen, dass das Leben bedingungslos durch meine Adern rinnt und nicht kontrolliert werden muss.
Jetzt geht die Sonne unter. Ich lege meinen Kopf in deinen Schoß, denn ich bin müde. Ich spüre, wie dein Atem durch deinen Körper zieht. Grashalme wiegen sich in deinem Rhythmus und die Wolken gleiten am blutroten Himmel an uns vorbei.
Und mit einem Mal ergreift mich der Schmerz des Abschieds. Tränen rinnen meine Wangen hinab und benetzen deine Haut. Ich höre dich leise seufzen. Du saugst die Kraft des ewigen Seins aus der Erde, gibst sie in den Wind und lässt sie den Kosmos befruchten.
Ich weiß, dass die Sonne den Sternen Platz machen wird. Dass der Mond scheint, weil ihr Licht niemals gänzlich erlischt. Und ich weiß – weil es immer so war -, dass bald ein neuer Morgen anbrechen wird.
Und dennoch: Heute hinterlässt der endende Tag eine altbekannte Leere in meinem Herzen. Meine Wunden öffnen sich und ihr Blut vermischt sich mit dem Rot des Firmaments.
Es gibt so viele Wesen, die ich vermisse…
Unter meinen Tränen pumpst du weiter das eine Bewusstsein durch die Materie meiner Welt. Ich erkenne, dass mein Schmerz wahr und müßig zugleich ist: Der Tag geht, doch das Licht bleibt für immer. Jeder Abschied ist Teil unserer ureigenen Kreisläufe und immer der Beginn von etwas Neuem. Doch gleichzeitig lebt jeder, der ging, in mir weiter. Denn jenseits der Trennung ist alles eins.
Ich fühle, dass auch der Globus sich dreht.
Und so schließe ich meine Augen. Lasse mich von der Erde tragen, von der Sonne erleuchten und vom Leben durchströmen. Ich werde ruhig. Erinnere mich daran, dass ich vollständig und vollendet bin. Und schlafe ein.
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©️Text und Bild: Li Anna